Film „Auf alles, was uns glücklich macht“: Jahre des Erwachsenwerdens (2024)

  • Startseite
  • Kultur
  • Film
  • 9/11
  • Film „Auf alles, was uns glücklich macht“:Jahre des Erwachsenwerdens

51619365804141Film „Auf alles, was uns glücklich macht“: Jahre des Erwachsenwerdens (1)Film „Auf alles, was uns glücklich macht“: Jahre des Erwachsenwerdens (2)

Der Film von Gabriele Muccino ist ein nostalgisch und berührend. Er ist ein Generationenporträt von vier Freunden fürs Leben.

Von Barbara Schweizerhof

Jeder Film, der von einer Silvesterparty in der Gegenwart zurückschaltet in die Vergangenheit, beschwört den Geist der Nostalgie. In Gabriele Muccinos „Auf alles, was uns glücklich macht“ gibt es nicht nur die Sentimentalität, mit der Rechtsanwalt Giulio (Pierfrancesco Favino) auf sein Leben zurückblickt – „1982 war ich 16 Jahre alt“ –, sondern der Film als solcher stimmt nostalgisch. In der Art werden sie einfach nicht mehr gemacht!

Das Genre Generationenporträt, in dem drei, vier beste Freunde durchs Leben begleitet werden, mit Höhen und Tiefen, Trennungen und Wiederbegegnungen, wirkt heute altbacken. Über das Warum lässt sich nur spekulieren: Das breitflächige, realistische Erzählen erscheint schnell steif und formelhaft. Und vielleicht gibt es sie auch als Lebensform gar nicht mehr so häufig, die „Freunde fürs Leben“.

Dabei wirkt höchst lebendig und elementar, wie Muccino seine Helden einführt: Bei Straßenprotesten in Rom sammeln Giulio und Paolo den von einem Schuss verletzten Riccardo auf und bringen ihn durch die Nebelschwaden von Tränengas ins Krankenhaus. Er überlebt – und es wird sein Spitzname: „Sopravissú“ – der Überlebthabende.

Zum Trio stößt bald noch Gemma dazu, die besonders mit Paolo flirtet. Dann aber stirbt ihre Mutter, und Gemma muss zur Tante nach Neapel ziehen. Es ist die erste von vielen schmerzlichen Trennungen, die von da an den Lebensrhythmus der vier bestimmen. Viel mehr, als es die rarer werdenden Zusammenkünfte und Begegnungen tun.

Der Film

„Auf alles, was uns glücklich macht“. Regie: Gabriele Muccino. Mit Pierfrancesco Favino, Kim Rossi Stuart u. a. Italien 2020, 129 Min.

In Wahrheit nämlich schickt das Drehbuch seine vier Hel­d:in­nen (dann gespielt vom grandiosen Quartett aus Pierfrancesco Favino, Kim Rossi Stuart, Claudio Santamaria und Micaela Ramazzotti) ziemlich alleine durch ihre wechselvollen, nur selten von dem einen oder anderen Etappenerfolg gekrönten Jahre des Erwachsenwerdens, der Berufsfindung, der Familiengründung, weiteren Trennungen.

Reifer und abgeklärter

Als am 11. September 2001 die Türme brennen, sitzen sie alle vereinzelt vor ihren Fernsehern. Erst mit über 50, reifer und abgeklärter, finden sie wieder in ihrer Kleeblattfreundschaft zueinander. Und sosehr aufs nötigte Happy End hin geschustert das anmutet, wirkt es doch auch wieder überzeugend.

Muccino und sein Koautor Paolo Costella lassen die persönlichen Ereignisse den chronologischen Ablauf bestimmen; das einschlägige Zeitgeschehen – der Fall der Mauer, die „Mani pulite“, Berlusconis Aufstieg – blitzt die meiste Zeit nur kurz als Hintergrund auf. Die „große Historie“ beeinflusst das Leben der vier natürlich trotzdem. Sie alle trifft die für ihre Generation typische Arbeitskrise, in der gut bezahlte Jobs und Festanstellungen rar wurden.

In einem Running Gag sieht man Paolo, der Lehrer geworden ist, sich immer wieder von Klassen verabschieden, die ihm zwar an den Lippen hängen, die er aber stets nur als Ersatzlehrer betreut. Riccardo träumt Jahre davon, als Filmkritiker bezahlt zu werden, aber so weit kommt es nie. Einzig Giulio macht Karriere, das aber auf der politisch falschen Seite. Gemma schlägt sich mit Kellnerjobs mehr schlecht als recht durchs Leben.

Dass ihre Biografien so glanzlos verlaufen, ohne die ganz großen Tragödien, aber auch ohne echte Triumphe, dafür mit stetem Kleinklein und Hickhack, macht in der Summe den authentischen Ton des Films aus. In einer Szene stehen sie nachts vor der Fontana di Trevi – aber statt Fellini-Zauber zu erleben, zerstreiten sie sich auf banale Weise. Wem wäre das nicht schon mal genau so passiert?

Seine eigene Generation bringt Muccino (Jahrgang 1967) damit erstaunlich berührend auf den Punkt. Umso erstaunlicher, weil der Film in seiner Konzeption ein Remake von Ettore Scolas legendärem „Wir waren so verliebt“ (1974) ist, dem Identitätsfilm der italienischen Nachkriegsgeneration. Das Gefühl, zur Generation „Durchwurstler“ zu gehören, scheint verblüffend universell.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei?Jetzt unterstützen

Themen#Spielfilm#Italien#Generationen#Freundschaft#9/11

FeedbackKommentierenFehlerhinweis

Diesen Artikel teilen

Mehr zum Thema

Film „Bad Tales (Favolacce)“ im KinoDer Planet der Kinder

Der Film „Bad Tales (Favolacce)“ der Brüder Damiano und Fabio D’Innocenzo spielt in einem Vorort. Kinder und Erwachsene trennen Welten.

VonBarbara Schweizerhof

Spielfilm „Nowhere Special“Wenn ein Saurier stirbt

„Nowhere Special“ erzählt von einer liebevollen Vater-Sohn-Familie und Adoption. Der Film nimmt sich Zeit für Blicke und kleine Gesten.

VonClaudia Lenssen

Vorgeschichte des KinosParodie ist Recht des Künstlers

Kolumne Lidokino von Tim Caspar Boehme

Große Komödie als Hommage an das italienische Theater und die Frühzeit des italienischen Kinos. Das gibt es bei den Filmfestspielen von Venedig.

10 Wochen im Probeabotaz digital + wochentaz print testenTexte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört. 100% konzernfrei. Jetzt ausprobieren.

Jetzt bestellen

0 Kommentare

    meistkommentiert

    1

    Wissings Verkehrsprognose 2040Auto bleibt wichtigstes Verkehrsmittel

    2

    +++ Nachrichten im Nahost-Konflikt +++Libanon-Konferenz sagt eine Milliarde Dollar zu

    3

    Urteil im Diesel-SkandalErstmals ist hierzulande die Natur im Recht

    4

    Bauhauskritik der AfDWidersprüchlich und gerade deshalb modern

    5

    Cem Özdemir will nach Baden-Württemberg’S kann losgange

    6

    Antisemitismusstreit in der LinksparteiKronzeugen für einen falschen Vorwurf

    Film „Auf alles, was uns glücklich macht“: Jahre des Erwachsenwerdens (2024)
    Top Articles
    Latest Posts
    Recommended Articles
    Article information

    Author: Terrell Hackett

    Last Updated:

    Views: 6630

    Rating: 4.1 / 5 (52 voted)

    Reviews: 83% of readers found this page helpful

    Author information

    Name: Terrell Hackett

    Birthday: 1992-03-17

    Address: Suite 453 459 Gibson Squares, East Adriane, AK 71925-5692

    Phone: +21811810803470

    Job: Chief Representative

    Hobby: Board games, Rock climbing, Ghost hunting, Origami, Kabaddi, Mushroom hunting, Gaming

    Introduction: My name is Terrell Hackett, I am a gleaming, brainy, courageous, helpful, healthy, cooperative, graceful person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.